Die Dekarbonisierungsziele in Deutschland sind ehrgeizig: Während die Bundesregierung 2045 als Zieljahr für Klimaneutralität ausgegeben hat, streben manche kommunale Wärmeversorger dies bereits bis 2035 an. Die Fernwärme spielt dabei eine Schlüsselrolle. Um das Fernwärmesystem vollumfänglich zu dekarbonisieren, müssen sämtliche Leistungsbereiche von der Grund- bis zur Spitzenlast sowie die Besicherungsleistung berücksichtigt werden – und das im Sinne notwendiger Weichenstellungen und Investitionsentscheidungen am besten gleichermaßen frühzeitig.
EE-Technologien für Spitzenlast und Besicherungsleistung bisher kaum diskutiert
Soweit die Theorie. In der Praxis jedoch werden die einzelnen Kategorien eher nacheinander „von groß nach klein“ betrachtet. Während für die Grund- und Mittellast etablierte erneuerbare (EE)-Wärmeerzeuger bzw. EE-Wärmequellen zur Verfügung stehen, findet eine Diskussion darüber, welche EE-Technologien für die Spitzenlast eingesetzt werden sollen, bislang öffentlich kaum statt. Der Wärmeversorger badenovaWÄRMEPLUS mit Sitz in Freiburg in Breisgau hingegen hat sich das Thema bereits jetzt auf die Agenda gesetzt – und das Hamburg Institut mit der Untersuchung von Optionen für „Spitzenlast- und Besicherungsleistung durch erneuerbare Wärmeerzeuger für den Wärmeverbund Freiburg-West“ beauftragt.
badenova will frühzeitig Klarheit schaffen
„Wir wollen möglichst früh Klarheit schaffen. Dazu gehört, dass wir uns auch über die letzten Prozent der Dekarbonisierung unseres Netzes Gedanken machen“, sagt Projektleiter Dr. Jochen Oexmann von der badenovaWÄRMEPLUS. „Ziel war es herauszufinden, welche nicht-fossilen, möglichst CO2-freien Technologien im Jahr 2030 eine realistische Alternative zu Erdgas- bzw. Biomethan-Kesseln sein können.“
„Insbesondere der Blick auf die Besicherungsleistung ist interessant, denn hier gelten aufgrund der fehlenden Planbarkeit von Einsatzzeiten noch einmal verschärfte Anforderungen“, erläutert Dr. Tobias Zimmermann, der das Projekt beim Hamburg Institut gemeinsam mit Dr. Nikolai Strodel betreute. „Hier gilt es, sehr geringe Investkosten, gute Lager-/Speicherfähigkeit des Energieträgers, einen möglichst geringen Platzbedarf sowie eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit unter einen Hut zu bringen.“ Unter Besicherungsleistung versteht man eine vorgehaltene Leistung, um den (unvorhersehbaren) Ausfall von Erzeugungsanlagen abzusichern.
Power-to-Heat sowie flüssige und gasförmige Biomasse als vielversprechendste Optionen
Die 2023 abgeschlossene Analyse war in zwei Phasen unterteilt. In Phase 1 wurden die aktuelle Studienlage ausgewertet, Fachgespräche u.a. mit Herstellern geführt und detaillierte Technologiesteckbriefe für die technisch sinnvollen Optionen erarbeitet und ausgewertet. „Bezieht man die Aspekte Technik, Standort, Effizienz und Wirtschaftlichkeit sowie Politik und Unternehmensphilosophie in die Bewertung der Optionen ein, scheinen Power-to-Heat sowie flüssige und gasförmige Biomasse derzeit die vielversprechendsten Optionen zu sein“, resümiert Dr. Tobias Zimmermann.
In Phase 2 ging es an die Detailauswertung. „Um durchzuspielen, inwieweit Power-to-Heat wirtschaftlich sinnvoll und gleichzeitig netzdienlich für die Wärmespitzenlast eingesetzt werden kann, haben wir auf Basis einer simulationsgestützten Einsatzzeiten-Optimierung die Vorplanung einer Power-to-Heat-Anlage für den Wärmeverbund Freiburg-West erstellt“, erklärt Dr. Nikolai Strodel. Dabei wurden auch verschiedene Varianten mit Wärmespeichern untersucht, welche eine Entkopplung von Wärmebedarf und Strommarkt und, in Kombination mit individuellen Netzentgelten, eine deutliche Kostensenkung ermöglichen. „Die bisherigen Ergebnisse sind für uns sehr aufschlussreich, um die weitere Ausgestaltung technologischer Optionen im Sinne der Dekarbonisierung unseres Wärmenetzes anzugehen“, so Dr. Jochen Oexmann.