Unsere Kollegin und Expertin für Herkunftsnachweise Juliane Mundt war bei der I-REC Standard Conference (ISC) am 2. und 3. Juli 2024 in São Paulo vor Ort. Im Interview berichtet sie über ihre Erkenntnisse und Highlights der Konferenz.
Juliane, du warst auf der I-REC Standard Conference (ISC) in São Paulo. Worum ging es dort?
Ganz allgemein gesagt um internationale Nachweissysteme für erneuerbare Energien. Also darum, wie wir nachvollziehbar machen können, woher grüne Energie kommt. Das klingt einfach, kann aber ganz schön komplex sein, vor allem, wenn es um unterschiedliche Energieträger geht und/oder der Handel über Ländergrenzen hinweg stattfindet.
Die ISC wird von der International Tracking Standard Foundation (I-TRACK Foundation) veranstaltet. Das ist eine gemeinnützige Organisation, die internationale und unabhängige Standards für Nachweissysteme erstellt.
Wieso ist es so wichtig, das Thema Nachweissysteme international zu diskutieren?
Die Relevanz ergibt sich aus den Nachhaltigkeitsbedingungen für internationalen Handel und aus den zunehmenden Berichtsanforderungen an global agierende Unternehmen. Die Nutzung erneuerbarer Energien ist ein Weg für Unternehmen, selbstgesetzte Klimaziele zu erreichen und die Anforderungen an nachgewiesene Klimaneutralität zu erfüllen. Über Herkunftsnachweise (HKN, englisch: Guarantees of Origin (GO)) kann belegt werden, dass in den Produktionsstätten sowohl in Europa als auch weltweit erneuerbare Energien genutzt wurden. Wenn multinationale Konzerne in ihrem Nachhaltigkeitsbericht über Klimaziele und emittierte Treibhausgase berichten, werden einheitliche Bilanzierungsmethoden und international abgestimmte Nachweissysteme relevant. In zahlreichen Ländern werden derzeit Nachweissysteme entwickelt, allerdings sind viele davon noch in der Entstehungsphase, was zum Teil zu unterschiedlichen, parallel existierenden Systemen führt. Hier fehlen noch die Einheitlichkeit und Transparenz über die Charakteristika und Gültigkeit der jeweiligen HKN.
Ein weiteres wichtiges Element ist die Produktebene: Mittels HKN kann nachvollzogen werden, mit welchen Energieträgern Materialien verarbeitet und Produkte hergestellt wurden. Sie sind also eine Möglichkeit, um die Treibhausgasemissionen, die bei der Produktion entstanden sind, sichtbar zu machen – auch über internationale Lieferketten hinweg. Diese Emissionen fließen dann in die Berechnung eines Product Carbon Footprints ein. Dabei muss jedoch immer sichergestellt werden, dass die HKN zuverlässig sind und den Standards des jeweiligen Importlandes entsprechen. Hier setzt die EU mit den ESG-Regelungen und CBAM deutliche Akzente. Trotzdem stellen die unterschiedlichen Anforderungen in den EU-Verordnungen zur Treibhausgasbilanzierung die Stakeholder noch vor Herausforderungen.
Wo steht Europa in Sachen Herkunftsnachweise im internationalen Vergleich?
Insgesamt gibt es mit dem GO-System für Strom aus erneuerbaren Energien in der EU bereits ein Nachweissystem, das durchaus Vorbildcharakter für andere Länder hat. Auch Wärme und Gase inkl. Wasserstoff werden in Zukunft über GOs nachgewiesen werden können. Allerdings wird das GO-System in den Regularien zur Klimabilanzierung nicht immer priorisiert. Dies macht die Handhabung für Unternehmen schwierig.
Auf der Konferenz haben einige Nationen, unter anderem China, Indien, Thailand und Brasilien, ihre aktuellen Praxen und Entwicklungen vorgestellt. Das hat mir einen sehr guten Überblick darüber gegeben, wo wir international stehen, wo an welchen Themen gearbeitet wird und welche unterschiedlichen Herausforderungen und Learnings es gibt. Aktuell ist das noch ein wenig unübersichtlich, aber ich glaube, da werden noch sehr spannende Diskussionen und Entwicklungen folgen.
Diskussionen und Entwicklungen in welche Richtung?
Es gibt noch einiges zu tun für die Zukunft von HKN. Die Register müssen transparent und zuverlässig funktionieren. Die Charakteristika der HKN müssen eindeutig erkennbar sein, so dass dem Nutzer klar ist, welche Anforderungen der jeweilige HKN erfüllt. Für die Nutzung von HKN als Nachweis für emissionsarmen Energieverbrauch in der Klimabilanzierung sollte der Zweck von HKN geschärft und in der Gesetzgebung einheitlicher gehandhabt werden.
Was war dein Highlight auf der ISC24?
Da gab es auf jeden Fall mehr als eins. Aber ich glaube, eine große Besonderheit dieser Konferenz war der persönliche internationale Austausch. Es waren rund 250 Expert:innen aus über 60 Ländern, vor allem aus Südostasien und Lateinamerika, vor Ort. Das ermöglichte spannende und wichtige Einblicke in die Entwicklung von HKN-Systemen in diesen Ländern.
Juliane Mundt arbeitet als Senior Beraterin und Projektleiterin beim Hamburg Institut und ist Expertin für die Themen Klimabilanzierung und Herkunftsnachweise. In diesen Bereichen leistet sie seit vielen Jahren wichtige Grundlagenarbeit und ist unter anderem Mitglied im ISO-Arbeitskreis Klimaneutralität (NA 172-00-19-03), der die deutsche Beteiligung an den Arbeiten zur internationalen Norm ISO 14068 sicherstellt.
Weitere Informationen über die Konferenz und unsere Erwartungen im Vorfeld lesen Sie hier.