Hamburg Institut Discussion Paper (2024)

Markt- vs. ortsbasierter Ansatz: Vorschlag zur Harmonisierung der Klimabilanzierung von Strom

Im Bereich der Nachweisführung und Klimabilanzierung ist das Spannungsfeld zwischen dem markt- und dem ortsbasierten Ansatz bei der Klimabilanzierung von Strom ein viel diskutiertes Thema. Deren parallele Anwendung stellt in der derzeitigen Ausgestaltung und praktischen Handhabung ein Hemmnis für die Vergleichbarkeit und in der Folge für die Glaubwürdigkeit der Klimabilanzierung insgesamt dar. In diesem Discussion Paper wird die aktuelle Problematik näher beleuchtet – mit dem Ziel, eine Diskussion über mögliche Lösungsansätze anzuregen sowie ein Ausrufezeichen hinter die Notwendigkeit zu setzen, die Harmonisierung der bestehenden Ansätze zur Strombilanzierung in den Fokus zu rücken.

Fragestellung

In der Treibhausgas (THG)-Bilanzierung von Unternehmen und Produkten machen die Emissionsfaktoren der eingekauften Energie, insbesondere der Elektrizität, einen erheblichen Anteil aus. Insofern ist für alle bilanzierenden Unternehmen von besonderem Interesse, möglichst viel Ökostrom mit niedrigem Emissionsfaktor zu beschaffen und diesen maximal wirksam in der eigenen THG-Bilanz zu berücksichtigen. Mit dem markt- und dem ortsbasierten Ansatz gibt es hierzu unterschiedliche Bilanzierungsverfahren, die zu
unterschiedlichen Ergebnissen führen. Das stellt sowohl die Unternehmen als auch die Bilanzierungsstandards sowie den Gesetzgeber vor Herausforderungen.

Key Takeaways

AUSGANGSSITUATION UND HERAUSFORDERUNG

Uneinheitliche Bilanzierungsmethoden:
Aufgrund auslegungsfähiger Vorgaben entscheiden sich viele Unternehmen bei der Bilanzierung eingekauften Stroms für den Bilanzierungsgrundsatz, der ihnen den niedrigsten Footprint verspricht.
Risiko der Doppelzählung:
Die parallele Anwendung zweier Ansätze zur Bilanzierung von Strom in der Klimabilanz kann zur Doppelzählung von Erneuerbare-Energien-Eigenschaften führen. Dies birgt die Gefahr, dass Umweltwirkungen überschätzt werden und die Vergleichbarkeit von THG-Bilanzen (CCF & PCF) verhindert wird.
Verlust von Glaubwürdigkeit:
In Summe leidet die Glaubwürdigkeit und Aussagekraft von Klimabilanzen, wenn innerhalb von Branchen und Wertschöpfungsketten unterschiedliche Methoden zur Bilanzierung des Strombezuges angewendet werden.
Physikalische Realität derzeit nicht abbildbar:
Die oftmals vorgebrachte Forderung, es solle die Methode gewählt werden, die am nächsten die physikalische Realität abbildet, erfüllt weder der marktbasierte noch der ortsbasierte Ansatz in seiner derzeitigen Ausprägung und Praxis.

LÖSUNGSANSÄTZE

Konsistente Anwendung eines Bilanzierungsansatzes:
Um eine Mehrfachwertung der Erneuerbare-Energien-Eigenschaft bei der Berechnung von Emissionsfaktoren zu vermeiden, sollte nur ein Bilanzierungsansatz konsequent angewendet werden – und das möglichst über die gesamte Wertschöpfungskette. Es braucht eine Harmonisierung der Methoden zur Strombilanzierung entlang der Wertschöpfungskette und innerhalb von Branchen.
Priorisierte Anwendung des marktbasierten Ansatzes:
In Strommärkten mit einem stabilen, belastbaren und transparenten Nachweissystem auf Basis von Energy Attribute Certificates (z.B. Herkunftsnachweisen) sollte die marktbasierte Bilanzierung Anwendung finden. Im EU-Strommarkt wäre somit nur ein marktbasierter Bilanzierungsansatz zulässig.
Ortsbasierter Ansatz nur in Regionen ohne oder mit unzuverlässigem Nachweissystem:
In Regionen ohne adäquates Nachweissystem sollte bei der Ermittlung der Emissionsfaktoren der ortsbasierte Ansatz gewählt werden.
Verständnis und Anwendung des marktbasierten Ansatzes zunächst als reines Erfassungstool:
Nachweissysteme und Klimabilanzierungsmethoden sollten nicht als Politikinstrument verstanden werden, in dem schon in der Methodik der Erfassung eine politisch gesetzte Anreizwirkung erfolgt. Stattdessen sollten sie als reine Erfassungstools dienen und angewendet werden.
Bewertung der Klimawirksamkeit auf Basis der THG-Bilanzierung:
Die Bewertung hinsichtlich der Energiewendeförderlichkeit der bezogenen Energie kann schließlich auf Basis der in der THG-Bilanz enthaltenen Informationen (inkl. der nebenbilanziellen Berichterstattung) stattfinden. Anreize hinsichtlich bestimmter Formen des Energiebezuges können neben Nachfrageimpulsen auch von Politikinstrumenten gesetzt werden.
Einsatz granularer HKN:
Granulare Herkunftsnachweise könnten dazu beitragen, der Abbildung von Ökostrom in der Klimabilanz physikalisch so nahe wie möglich zu kommen und damit einem weit verbreiteten Anliegen Rechnung tragen. Sie können sowohl zeitliche als auch exakt lokale Erzeugungsinformationen dokumentieren, auf Basis derer der markt- und ortsbasierte Ansatz in der jeweiligen Zielstellung vereint werden könnten. Die Bilanzierungsmethodik im marktbasierten Ansatz wäre entsprechend anzupassen.